In einer Zeit, in der Fachkräftemangel, steigende Fehlzeiten und wirtschaftliche Unsicherheiten die Personalstrategien vieler Unternehmen prägen, gewinnt das Betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) zunehmend an betriebswirtschaftlicher Bedeutung. Was oft als rein gesetzliche Pflicht nach § 167 Abs. 2 SGB IX verstanden wird, bietet in Wahrheit einen konkreten strategischen Mehrwert. Unternehmen, die das BEM gezielt als Bestandteil ihrer Unternehmensstrategie begreifen, profitieren mehrfach: durch geringere Fehlzeiten, gesicherte Fachkräfte, klare Prozesse und einen messbaren Return on Investment.
Wertschöpfung pro Mitarbeiter: Was Unternehmen tatsächlich verlieren
Jeder krankheitsbedingte Ausfall bedeutet nicht nur Ausfallkosten, sondern auch Unterbrechung der Wertschöpfung. Laut einer Analyse von Qymatix Solutions GmbH lag der durchschnittliche Umsatz pro Mitarbeiter im deutschen B2B-Großhandel 2020 bei rund 650.000 Euro, in der Fertigungsindustrie bei etwa 296.000 Euro. Gerade für Entscheider und HR-Verantwortliche wird hier deutlich: Jeder längere Ausfall hat unmittelbare finanzielle Folgen – weit über das Gehalt hinaus.
Fehlzeiten kosten bares Geld – ein unterschätztes Risiko
Ein Unternehmen aus Nordhessen mit 400 Mitarbeitenden verzeichnete innerhalb von zwei Jahren eine Verdopplung der krankheitsbedingten Fehlzeiten. Die Lohnfortzahlungskosten beliefen sich auf rund zwei Millionen Euro. Der wirtschaftliche Druck durch anhaltende Ausfälle wird oftmals unterschätzt.
Nach Daten der BAuA (Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin) verursacht ein krankheitsbedingter Fehltag durchschnittlich rund 450 Euro an Kosten. Besonders betroffen: Branchen mit hoher Belastung wie Pflege, Dialogmarketing und Sozialwesen .

Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) als Schlüsselinstrument gegen Fachkräftemangel und demografische Risiken
Angesichts des demografisch bedingten Rückgangs an Erwerbstätigen und der zunehmenden Alterung der Belegschaften rückt das Betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) in den Fokus strategischer Personalplanung. Prognosen zeigen: Bis 2036 werden rund 12,9 Millionen Menschen in den Ruhestand treten – das entspricht etwa einem Drittel der heutigen Arbeitskräftebasis (Tagesschau vom 04.08.2022). Gleichzeitig bleibt die Zuwanderung qualifizierter Fachkräfte hinter den Erwartungen zurück. Die strukturelle Lücke am Arbeitsmarkt lässt sich daher nicht allein durch externe Rekrutierung schließen.
In diesem Kontext gewinnt das BEM als Instrument zur Sicherung von Arbeitsfähigkeit, Wissenstransfer und Beschäftigungsfähigkeit an Bedeutung. Ein strukturierter BEM-Prozess kann dazu beitragen, krankheitsbedingte Fehlzeiten zu reduzieren, die Rückkehr in den Arbeitsalltag zu erleichtern und Mitarbeitende länger im Erwerbsleben zu halten – insbesondere in alternden Belegschaften. Darüber hinaus stärkt ein verlässliches Verfahren das Vertrauen der Beschäftigten und kann bestehende Maßnahmen im Betrieblichen Gesundheitsmanagement sinnvoll ergänzen.
Lohnt sich BEM wirklich – gerade bei kleineren Fallzahlen?
Ein häufig geäußerter Vorbehalt lautet: „Lohnt sich BEM wirklich – gerade bei kleineren Fallzahlen?“ Die Antwort: Ja – gerade in Zeiten steigender Arbeitsunfähigkeitsraten, zunehmender psychischer Erkrankungen und steigender Fluktuationskosten ist ein individuelles, gegebenenfalls extern begleitetes BEM ein strategischer Hebel zur Fachkräftesicherung und Kostensteuerung. Unternehmen, die das BEM nicht nur als gesetzliche Pflicht, sondern als integralen Bestandteil ihrer Demographiestrategie begreifen, verschaffen sich einen klaren Wettbewerbsvorteil – insbesondere im Hinblick auf Arbeitgeberattraktivität, Mitarbeitendengesundheit und langfristige Produktivität. So wird BEM nicht nur als gesetzliche Anforderung betrachtet, sondern als integralen Bestandteil einer langfristig tragfähigen Gesundheits- und Demographiestrategie, die Personalbindung, Prävention und Organisationsentwicklung systematisch miteinander verknüpft.

BEM rechnet sich: ein nachgewiesenes Kosten-Nutzen-Verhältnis
Eine Modellberechnung der Hochschule Aalen belegt: Für jeden Euro, der in BEM investiert wird, ergibt sich ein durchschnittlicher wirtschaftlicher Nutzen von 4,80 Euro. Dieser entsteht durch:
- reduzierte Fehlzeiten,
- vermiedene Kündigungen,
- Erhalt von Fachwissen und Produktivität,
- und geringere Kosten für Neueinstellungen.
Strategischer Mehrwert: Fachkräftesicherung und Risikoabsicherung
Gerade in Zeiten eines angespannten Arbeitsmarkts ist es essenziell, Leistungsträger im Unternehmen zu halten. Das BEM bietet hier gleich mehrere Vorteile:
- Kostensenkung: Rekrutierungskosten betragen oft das 1,5- bis 2-fache Jahresgehalt
- Rechtssicherheit: BEM bietet bei krankheitsbedingten Kündigungen rechtliche Absicherung
- Fördermittelzugang: Viele Reha-Träger setzen ein dokumentiertes BEM voraus
- Fachkräftebindung: Vermeidung von Wissens- und Kompetenzverlust
Praxisfall Altenpflege: Hohe Fehlzeiten gefährden wirtschaftliche Stabilität
In der Pflegebranche wird die Dringlichkeit eines strukturierten BEM besonders sichtbar: Krankenstände von bis zu 25 %, wie von der HNA berichtet, führen in Nordhessen zu Schließungen von Pflegeeinrichtungen. In den letzten zweieinhalb Jahren mussten allein in Hessen 25 Pflegeheime schließen (FAZ, 28.06.2023). Jede dritte Einrichtung gilt als insolvenzgefährdet.

Die Produktivitätsverluste steigen mit der Dauer und Häufung der Fehlzeiten
Eine aktuelle Auswertung der Techniker Krankenkasse (TK) zeigt erneut die außergewöhnlich hohe gesundheitliche Belastung von Beschäftigten in der Altenpflege. Die Analyse basiert auf den Arbeitsunfähigkeitsdaten von rund 5,7 Millionen erwerbstätigen Versicherten und bezieht sich auf das Kalenderjahr 2023.
Demnach waren Altenpflegekräfte im Durchschnitt an 34,2 Tagen krankgeschrieben – ein Höchstwert, der den hohen Arbeitsbelastungen in diesem Berufsfeld Rechnung trägt. Zum Vergleich:
- Beschäftigte in der Krankenpflege wiesen im gleichen Zeitraum durchschnittlich 28 Fehltage auf.
- Der branchendurchschnittliche Krankenstand aller Berufsgruppen lag bei lediglich 18,6 Fehltagen.
Die Analyse identifiziert drei Hauptursachen für die hohen krankheitsbedingten Fehlzeiten in der Altenpflege:
- Atemwegserkrankungen: Ø 6,2 Fehltage
- Psychische Erkrankungen: Ø 7,1 Fehltage
- Muskel-Skelett-Erkrankungen: Ø 6,6 Fehltage
Diese Befunde unterstreichen die hohe physische und psychische Beanspruchung, der Altenpflegekräfte im Berufsalltag ausgesetzt sind. Die Kombination aus emotionaler Belastung, körperlich fordernder Tätigkeit und häufigem Personalmangel trägt erheblich zu den hohen Ausfallzeiten bei.



Hauptursache psychische Erkrankungen: DAK meldet bereits für das erste Halbjahr 2024 durchschnittlich 13,7 Fehltage je Pflegekraft
Die DAK meldet für das erste Halbjahr 2024 durchschnittlich 13,7 Fehltage je Pflegekraft. Hauptursache: psychische Erkrankungen. Der Anstieg der Fehlzeiten betrug in dieser Diagnosegruppe 14,3 % im Vergleich zum Vorjahr (DAK-Pressemitteilung vom 18.07.2024). Ohne strukturelle Maßnahmen wie externe BEM-Beratung lässt sich dieser Entwicklung kaum begegnen.
BEM auch vor der 30-Tage-Schwelle: Was Unternehmen wissen sollten
Das Betriebliche Eingliederungsmanagement ist gemäß § 167 Abs. 2 SGB IX verpflichtend, wenn Beschäftigte innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig sind. In der Praxis wird dabei häufig auf eine pauschale Grenze von 30 Arbeitstagen abgestellt.
Diese sogenannte 30-Tage-Schwelle ist jedoch kein starres Kriterium. Maßgeblich ist nicht die Kalendertagesanzahl, sondern die Zahl der ausgefallenen Arbeitstage entsprechend der individuellen vertraglichen Arbeitszeit.
Insbesondere bei Teilzeitbeschäftigten ist dies relevant: Bei einer 3-Tage-Woche wäre die Auslöseschwelle für ein BEM beispielsweise bereits bei rund 18 ausgefallenen Arbeitstagen erreicht. Unternehmen, die hier nur nach einer festen 30-Tage-Regelung vorgehen, laufen Gefahr, ihrer gesetzlichen Verpflichtung nicht nachzukommen.
Darüber hinaus kann es auch unabhängig von der Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen sinnvoll sein, ein BEM anzubieten – etwa bei wiederkehrenden kürzeren Erkrankungen oder erkennbaren gesundheitlichen Problemen, die sich auf die Arbeitsfähigkeit auswirken. Ein frühzeitiges, präventives BEM kann dazu beitragen, längere Ausfallzeiten zu vermeiden und Beschäftigte besser zu unterstützen.
Unternehmen sollten daher nicht ausschließlich auf die 30-Tage-Grenze warten, sondern die individuelle Arbeitszeit und die tatsächliche Belastung des Mitarbeitenden differenziert betrachten. Die Rechtsnorm des §167 SGB IX ist mit dem Begriff Prävention versehen.
Warum Unternehmen jetzt handeln sollten – und wie
Die Herausforderungen für HR und Geschäftsleitung liegen auf der Hand: wirtschaftliche Risiken durch hohe Fehlzeiten, zunehmender Fachkräftemangel und das Imageproblem einer unzureichenden Wiedereingliederungskultur.
Ein strategisch implementiertes BEM bietet hier eine wirksame Antwort – vorausgesetzt, es wird professionell umgesetzt. Dabei helfen unter anderem:
- strukturierte BEM-Prozesse und -Abläufe
- qualifizierte Schulungen für BEM-Beauftragte
- externe BEM-Beratung durch erfahrene BEM-Dienstleister
- begleitende Angebote wie kollegiale Fallberatung im BEM, Supervision und Coaching
Diese Elemente lassen sich im Rahmen von BEM Seminaren, Fortbildungen zum Betrieblichen Eingliederungsmanagement oder auch Online-Ausbildungen zum BEM-Beauftragten systematisch aufbauen. Gerade BEM-Inhouse-Seminare bieten die Möglichkeit, individuell zugeschnittene Konzepte für Ihre Organisation zu entwickeln. Für viele Entscheider ist auch der klare ROI durch ein externes betriebliches Eingliederungsmanagement ausschlaggebend.
BEM als wirtschaftlich wirksame Unternehmensstrategie
Ein funktionierendes Betriebliches Eingliederungsmanagement ist längst kein optionales Nice-to-have mehr. Es ist ein betriebswirtschaftlich wirksames Steuerungsinstrument, das
- Fehlzeiten senkt,
- Produktivität erhält,
- Fachkräfte sichert,
- und die finanzielle Belastung reduziert.

BEM-Prozess und Ablauf: So sichern Sie nachhaltige Wiedereingliederung
Ein strukturierter BEM-Prozess ist mehr als nur ein standardisierter Gesprächsablauf. Vielmehr erfordert nachhaltige Wiedereingliederung ein individuell abgestimmtes Vorgehen, das sowohl gesetzliche Vorgaben als auch betriebliche Interessen berücksichtigt. Eine klare Dokumentation, transparente Kommunikation und ein systematischer Ablauf erhöhen nicht nur die Rechtssicherheit, sondern auch die Erfolgsquote von Eingliederungsmaßnahmen – insbesondere bei längeren oder wiederkehrenden Krankheitsverläufen.
BEM-Weiterbildung: Ausbildung, Fortbildung oder Inhouse-Seminar?
Wer im Betrieb für das BEM verantwortlich ist, steht vor der Herausforderung, medizinische, psychologische und rechtliche Aspekte souverän zu verbinden. Eine fundierte BEM Ausbildung, etwa als Online-Format, bietet hierfür eine kompakte und praxisnahe Grundlage. Fortbildungen ermöglichen die Vertiefung einzelner Themen wie Gesprächsführung oder Datenschutz. Inhouse-Seminare wiederum bieten den Vorteil, Prozesse und Zuständigkeiten direkt an die Bedürfnisse der eigenen Organisation anzupassen.
Fazit – Unterstützung durch externe BEM-Berater sinnvoll nutzen
Systematisch umgesetzte BEM-Prozesse können dazu beitragen, Strukturen langfristig zu stabilisieren und Rückkehrprozesse wirksamer zu gestalten. Unternehmen, die gezielt in die Qualifikation ihrer BEM-Verantwortlichen investieren – etwa durch vertiefende Fortbildungen oder praxisorientierte Seminare, schaffen damit eine belastbare Grundlage für ein nachhaltiges Eingliederungsmanagement.
Ein professionell etabliertes BEM – gegebenenfalls auch durch externe Unterstützung – kann so zu einem wirksamen Bestandteil einer wirtschaftlich tragfähigen und vorausschauenden Personalstrategie werden. Gerade in komplexen Fällen oder bei Ressourcenengpässen kann die Begleitung durch einen externen BEM Berater hilfreich sein. Er bringt Erfahrung, rechtliche Sicherheit und oft auch den nötigen Blick von außen in das Verfahren ein. So wird das BEM nicht nur effizienter, sondern auch tragfähiger in der Umsetzung.