Unklare Rollen, hohe Verantwortung: Warum Betriebsräte Orientierung im BEM brauchen
Im Betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM) ist der Betriebsrat ein wichtiger Akteur – und steht doch oft im Nebel. Weder die gesetzliche Grundlage noch die betriebliche Praxis bieten eine einheitliche Regelung zur Rolle des Betriebsrats im BEM-Team. Unterschiedliche Modelle der Teamzusammensetzung, unklare Schnittstellen und fehlende Schulung führen schnell zu Verunsicherung oder Überforderung. Dieser Beitrag bietet Klarheit, beleuchtet Risiken und zeigt praxisnahe Möglichkeiten, wie Betriebsräte ihre Rolle professionell und selbstwirksam gestalten können.
Mast- und Schotbruch – rechtliche Risiken im BEM: „Wir sitzen alle im selben Boot“
Der Spruch mag gut gemeint sein, birgt aber rechtliche Fallstricke. Wird der Betriebsrat zu stark ins Fallmanagement eingebunden, drohen Grenzüberschreitungen. Denn die Mitbestimmungsrechte im Einzelfall sind fast nicht vorhanden – eine Übernahme operativer Verantwortung kann nicht nur zu juristischen Konflikten führen, sondern auch zur Überforderung der Beteiligten. Unternehmen, die Aufgaben delegieren wollen, ohne klare Rollentrennung, riskieren mehr als nur Verfahrensverzögerung. Sie schaffen in der weiteren geübten betrieblichen Praxis gegebenenfalls rechtliche Unsicherheit.

BEM-Teams: drei Modelle – drei Rollenbilder
Im betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM) existieren in der Praxis drei verbreitete Modelle der Teamzusammensetzung, die jeweils unterschiedliche Rollenbilder für den Betriebsrat mit sich bringen.
Beim ersten Modell übernimmt ein Arbeitgebervertreter die Prozessführung. Der Betriebsrat (BR) und die Schwerbehindertenvertretung (SBV) – sofern der Erkrankte schwerbehindert oder dem gleichgestellt ist – nehmen auf ausdrücklichen Wunsch der betroffenen Person am Verfahren teil. Dabei haben sie keinen Zugriff auf die BEM-Akte und tragen auch keine Prozessverantwortung. Diese Variante gilt als rechtssicher, fühlt sich für den Betriebsrat jedoch häufig wie eine bloße Begleitrolle an. Das dem nicht so ist, wird im weiteren Verlauf dieses Beitrags deutlich werden.
Das zweite Modell sieht ein gemeinsames BEM-Team vor, das sich aus Arbeitgebervertreter, BR und ggf. SBV zusammensetzt. Hier wird der Prozess gemeinsam geführt, was Transparenz und Partizipation begünstigt. Gleichzeitig birgt dieses Modell erhebliche Risiken: Die Grenzen der Verantwortung verschwimmen, Datenschutzfragen treten auf, und rechtlich können heikle Konstellationen entstehen. Ohne klare interne Regelungen kann diese Variante zur echten Belastung für alle Beteiligten werden.
Das dritte Modell schließlich eröffnet der betroffenen Person die Möglichkeit, selbst einen Fallmanager aus dem BEM-Team zu wählen. Dieser führt die Gespräche und verantwortet den Prozess, während das restliche Team – einschließlich des Betriebsrats – beratend im Rahmen von Fallkonferenzen eingebunden ist. Diese Struktur bietet zwar ein hohes Maß an Flexibilität und Individualisierung, stellt aber hohe Anforderungen an Rollenklarheit, Kommunikation und professionelle Abstimmung im Team.

Rechtssicheres BEM: „Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand“
Unklare Zuständigkeiten können fatale Folgen haben: Ein fehlerhaft durchgeführtes BEM-Verfahren kann eine krankheitsbedingte Kündigung angreifbar machen. Wird dem Betriebsrat zu viel Verantwortung übertragen, gerät er zunehmend in eine Rolle, für die es keine rechtliche Grundlage gibt. Das öffnet nicht nur der Verunsicherung Tür und Tor, sondern kann zu Konflikten rund um Datenschutz, Akteneinsicht oder Verantwortungsbereiche führen – mit entsprechenden Risiken für alle Beteiligten.
Dabei hat der Betriebsrat durchaus gewichtige Rechte, um das Verfahren zu begleiten und zu überprüfen – ohne jedoch in die Steuerung einzelner Fälle einzusteigen. So sieht § 167 Abs. 2 Satz 6 SGB IX ein Initiativrecht vor: Der Betriebsrat kann die Durchführung eines BEM-Verfahrens vorschlagen, wenn die betroffene Person zustimmt. In Unternehmen ohne klare Verfahrensordnung ist dieses Recht besonders relevant. Darüber hinaus sichern Klärungs- und Unterrichtungsrechte die Transparenz im Verfahren. Der Arbeitgeber muss den Betriebsrat beispielsweise darüber informieren, ob der Mitarbeitende ordnungsgemäß über Ziele und Datenschutz im BEM aufgeklärt wurde oder ob externe Stellen wie der Werksarzt oder das Integrationsamt eingebunden werden.
Die wichtigste Mitgestaltungsmöglichkeit liegt jedoch in der Mitbestimmung bei allgemeinen Verfahrensfragen nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG: Hier kann der Betriebsrat aktiv an der Ausgestaltung des BEM – etwa zur Einladungspraxis oder zur Teamzusammensetzung – mitwirken. Ebenso verpflichtet § 167 Abs. 2 Satz 7 SGB IX den Betriebsrat zur Überwachung der Einhaltung gesetzlicher BEM-Pflichten. Unterstützt durch § 80 BetrVG dient dieses Recht auch der Machthemmung gegenüber dem Arbeitgeber. Dem Abschluss einer Betriebsvereinbarung zum betrieblichen Eingliederungsmanagement ist also dringend anzuraten.

Der alte Goethe und das BEM: „Ein jeder kehre vor seiner Tür…“
„Ein jeder kehre vor seiner Tür,
Und rein ist jedes Stadtquartier.
Ein jeder übe sein‘ Lektion,
So wird es gut im Rate stohn.“
Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832)
Was Goethe einst als bürgerliche Lebensweisheit formulierte, trifft auch im betrieblichen Eingliederungsmanagement ins Schwarze: Wer Aufgaben übernimmt, für die er nicht vorgesehen ist, schwächt das ganze Verfahren. Schnittstellenprobleme, Verantwortungsdiffusion und Missverständnisse sind die Folge. Das kann psychisch belasten – oder gar krank machen. Eine professionelle Rollenausfüllung mit klarer Abgrenzung schützt alle Beteiligten und trägt entscheidend zu einem funktionierenden BEM bei.

Fazit zur Funktion im BEM: Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht
Wer seine Rolle nicht kennt oder nicht ausfüllt, riskiert nicht nur den Erfolg des BEM, sondern auch die eigene psychische Gesundheit. Professionalisierung bedeutet: Abgrenzung, Verantwortung und Klarheit. Betriebsräte, die ihre Funktion souverän ausüben, stärken das Verfahren und schützen sich selbst.
Es gilt, die Grenzen der geschilderten Beteiligung zu respektieren: Die Steuerung konkreter BEM-Fälle bleibt Aufgabe des Arbeitgebers. Betriebsräte sind keine Fallmanager – und sollten das auch nicht sein. Wer Rechte kennt, sie sachlich einfordert und professionell kommuniziert, stärkt seine Position und schützt zugleich das Verfahren. So wird aus juristischer Unsicherheit ein geordneter Handlungsrahmen – zum Wohle aller Beteiligten.
Handlungsempfehlungen für Betriebsräte: selbstwirksam statt überlastet
- Definieren Sie Ihre Rolle schriftlich – z. B. in einer Betriebsvereinbarung
- Holen Sie sich externe BEM Fachberatung oder nutzen Sie kollegiale Fallberatung
- Reflektieren Sie Ihre Rolle regelmäßig in Supervision oder BEM Coaching
- Besuchen Sie BEM Seminare, um sich zu BEM Prozess und Ablauf weiterzubilden
- Stärken Sie Ihre Konfliktfähigkeit und Abgrenzungskompetenz