Pflege am Limit: Wie strukturiertes BEM psychische Erkrankungen wirksam reduziert und sich wirtschaftlich auszahlt

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Die Pflegebranche steht unter Druck wie nie zuvor: steigende psychische Belastungen, ein eskalierender Fachkräftemangel und wachsende wirtschaftliche Risiken machen vielen Einrichtungen schwer zu schaffen. Der DAK-Psychreport 2025 liefert ernüchternde Zahlen: Im Schnitt entfallen 573 psychisch bedingte Fehltage pro 100 Altenpflegekräfte – ein Spitzenwert im Vergleich aller Branchen.

Für Geschäftsführungen, Pflegedienstleitungen, Personalabteilungen und Träger bedeutet das: Hohe Krankheitsraten sind nicht nur ein Gesundheitsproblem – sondern ein betriebswirtschaftlicher Risikofaktor mit direktem Bezug zu Insolvenzen, Versorgungsengpässen und Fachkräfteverlust.

Rechenbeispiel: Was 573 psychische Fehltage kosten

Beispiel: das fiktive Pflegezentrum Nordhessen GmbH mit 2.000 Mitarbeitenden

  • 2.000 / 100 × 573 = 11.460 psychisch bedingte Fehltage/Jahr
  • Bei 128 € „Produktionsausfall“ pro Tag (Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA)): 1.465.000 € direkte Ausfallkosten/Jahr

Und das sind nur die sichtbaren Kosten. Hinzu kommen:

  • Fluktuation durch Überlastung
  • Know-how-Verlust
  • Neueinstellungskosten (bis zu 2 Jahresgehälter)
  • negative Auswirkungen auf das Betriebsklima

Wenn der Krankenstand zum Insolvenzrisiko wird

Auch die ambulante Pflege ist stark betroffen. In den Diakoniestationen der Evangelischen Kirche in Kassel lag der Krankenstand laut HNA vom 10.07.2023 zeitweise bei bis zu 25 %. Die Belastung für das verbleibende Personal nimmt dadurch deutlich zu. Hinzu kommt eine zunehmend ältere Belegschaft, wie die zuständige Leitung betont.

Der Teufelskreis ist offensichtlich:

  • Fehlzeiten → Überlastung → Rückfälle → Kündigung
  • Personalmangel → Unterbesetzung → Qualitätsrisiken → Finanzierungslücken
  • Finanzierungsausfall → Schließung von Pflegeplätzen → Reputationsverlust

Die FAZ warnte in ihrer Ausgabe vom 28.06.2023: Jede dritte Altenhilfeeinrichtung in Hessen ist insolvenzgefährdet. Und: Allein in Hessen kam es demnach in den letzten zweieinhalb Jahren zur Schließung von 25 Pflegeeinrichtungen.

Rettungswagen vor einem Gebäude geparkt.

Wirtschaftliche Belastung durch Fehlzeiten: Ein Fall aus Nordhessen

Ein mittelständisches Unternehmen einer anderen Branche mit rund 400 Beschäftigten erlebte innerhalb von zwei Jahren eine drastische Zunahme krankheitsbedingter Ausfallzeiten. Die Kosten für Lohnfortzahlung stiegen auf etwa 2 Millionen Euro – ein betriebswirtschaftlicher Warnschuss. Besonders aber in der Pflege wird das finanzielle Risiko hoher Fehlzeiten häufig unterschätzt – bis es sich in den Zahlen niederschlägt.

Wertschöpfung pro Mitarbeitendem: Der stille Verlust hinter jeder Fehlzeit

Grundsätzlich gilt: Krankheitsbedingte Ausfälle wirken sich nicht nur auf das direkte Gehalt oder die Lohnfortzahlung aus – sie unterbrechen auch die betriebliche Wertschöpfung. Laut einer Analyse der Qymatix Solutions GmbH lag der durchschnittliche Jahresumsatz pro Mitarbeitendem im deutschen B2B-Großhandel 2020 bei ca. 650.000 €, in der Fertigungsindustrie bei rund 296.000 €.

Für Geschäftsleitungen, Personalverantwortliche und Controller wird damit klar: Jeder längerfristige Ausfall zieht finanzielle Einbußen nach sich, die weit über Lohnkosten hinausgehen. Neben Produktionsstillständen entstehen indirekte Verluste durch gestörte Prozesse, Kundenabwanderung, Qualitätseinbußen und innerbetriebliche Reibungsverluste.

Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) kann hier eine strategisch wichtige Funktion übernehmen – nicht nur gesundheitlich, sondern auch wirtschaftlich:

  • Rückkehrzeiten verkürzen
  • Wiederholungsausfälle vermeiden
  • Wertschöpfung sichern

Warum strukturiertes BEM die betriebswirtschaftliche Lösung ist

Ein professionell aufgebautes Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) nach § 167 Abs. 2 SGB IX ist mehr als ein juristisches Pflichtprogramm. Richtig umgesetzt, ist es ein strategisches Instrument zur Reduktion psychisch bedingter Fehlzeiten und zur Sicherung von Fachkräften.

  1. Reduktion der Fehlzeiten
  • BEM-Maßnahmen wie Arbeitsplatzanpassung, Supervision, therapeutische Anbindung oder stufenweise Wiedereingliederung
  • präventive Gesprächsangebote bereits vor der Sechs-Wochen-Schwelle
  1. Vermeidung von Rückfällen
  • Monitoring und Evaluation von Maßnahmen
  • Einbindung externer Fachexpertise bei psychischer Komplexität
  1. Sicherung von Fachkräften
  • individuelle Rückkehrpläne statt Fluktuation
  • Stärkung der emotionalen Bindung durch transparente Begleitung
  1. Wirtschaftlicher Nutzen
  • ROI laut Hochschule Aalen: 1 € Investition in BEM → 4,80 € Nutzen (Modellberechnung der Hochschule Aalen)
  • Einsparungen durch weniger Kündigungen, geringere Neubesetzungskosten, reduzierte AU-Zeiten

BEM ist auch bei kleiner Fallzahl sinnvoll

Auch wenn nur wenige Fälle pro Jahr auftreten, lohnt sich professionelles BEM:

  • Ein einziger vermiedener Burnout-Fall spart mehrere Zehntausend Euro
  • Jede nicht ausgesprochene Kündigung reduziert die Recruiting- und Onboarding-Kosten signifikant
  • Präventive Strukturen senken langfristig die Belastung der gesamten Belegschaft
Dialysemaschinen in einer Reihe aufgestellt.

BEM als strategische Antwort auf den demografischen Wandel

Bis 2036 scheiden 12,9 Mio. Erwerbstätige altersbedingt aus (Tagesschau, 04.08.2022). Die Pflegebranche ist davon überdurchschnittlich betroffen.

Ein systemisch implementiertes BEM:

  • erhält die Beschäftigungsfähigkeit älterer Pflegekräfte
  • sichert Erfahrungswissen
  • reduziert gesundheitsbedingte Frühverrentungen
  • schützt vor wirtschaftlicher Destabilisierung durch Personalengpässe

 Praxisfall aus der Pflege – Rückkehr ohne Rückhalt

Eine erfahrene BEM-Beauftragte eines Krankenhausträgers berichtete im Rahmen eines der regelmäßigen Meetings im BEM-Team:

„Wiederholt sind KollegInnen, die nach einem Burnout über das BEM wieder in den Dienst wieder eingestiegen sind, regelrecht zusammengeklappt. Häufig in der Folge, wenn es auf der Station wieder stressiger wurde – etwa durch spontane Ausfälle oder Personalmangel.“

Der Fehler lag nicht in der Wiedereingliederung selbst, sondern in der fehlenden Nachsteuerung. Die Belastungserprobung wurde als abgeschlossen betrachtet – ohne Monitoring, ohne Schutzmaßnahmen, ohne angepasstes Belastungsprofil. Das Ergebnis: erneute Krankschreibung, Rückfall, Vertrauensverlust.

Dieses Beispiel zeigt: Ein belastbarer Wiedereinstieg gelingt nicht mit einem Standardfahrplan, sondern nur mit individueller Anpassung, Nachbegleitung und einem tragfähigen Unterstützungsnetz.

Was gehört zu einem wirksamen BEM in der Pflege?

Inhalte:

  • rechtssichere Prozessstruktur und Dokumentation
  • individualisierte Maßnahmen statt Checklistenroutine
  • Einbindung multiprofessioneller Partner (Ärzt:innen, Psychotherapeut:innen, Integrationsdienste)
  • Maßnahmen-Monitoring mit SMART-Kriterien
Rettungshubschrauber fliegt über ein Gebäude

Unterstützungsangebote im BEM für Pflegeeinrichtungen

Mögliche Formate zur Qualifizierung:

  • Inhouse-Seminare zum Betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM) speziell für Pflegeeinrichtungen
  • Online-Tagesseminare mit dem Schwerpunkt psychische Gesundheit und BEM
  • Zertifizierte Weiterbildungen für BEM-Fallverantwortliche mit Fokus auf psychosoziale Fallarbeit in der Pflege

Optionen externer Fallbegleitung:

  • Durchführung strukturierter und neutraler Gespräche – insbesondere bei psychischen Belastungssituationen
  • Steuerung und Koordination komplexer Fallverläufe, z. B. bei Depression, PTBS oder chronischer Erschöpfung
  • Vertrauliche, datenschutzkonforme Begleitung sensibler Gesundheitsinformationen im BEM-Prozess

BEM frühzeitig nutzen – wirtschaftliche Risiken vermeiden

Pflegeeinrichtungen, die psychisch belastete Mitarbeitende ohne strukturierte Begleitung zurück in den Arbeitsalltag führen, setzen sich nicht nur erhöhtem Fluktuationsrisiko aus. Sie laufen auch Gefahr, ihre betriebswirtschaftliche Tragfähigkeit, Versorgungsstabilität und Organisationssicherheit zu gefährden.

Ein klar strukturierter und bei Bedarf extern unterstützter BEM-Prozess trägt dazu bei:

  • krankheitsbedingte Ausfallkosten zu reduzieren
  • Rückfällen im Rahmen von Wiedereingliederungen vorzubeugen
  • personelle Kontinuität im Pflegealltag zu fördern
  • die Arbeitsfähigkeit langfristig zu sichern
  • das Teamklima durch planbare Maßnahmen zu entlasten

 

Quellen:

https://www.dak.de/presse/bundesthemen/umfragen-studien/psychische-erkrankungen-in-der-arbeitswelt-2024-verursachten-depressionen-erneut-die-meisten-fehltage_131626

https://blog.lapid.de/welche-kosten-verursacht-ein-au-tag?utm_source=chatgpt.com

  

Über den Autor

Manfred Baumert, MBA, ist Betriebswirt, Pädagoge, zertifizierter Case Manager und BEM-Berater mit mehrjähriger Führungserfahrung als Geschäftsführer im Gesundheits- und Sozialwesen. Er leitet eine sozialmedizinische Nachsorgeeinrichtung und kennt die Herausforderungen komplexer Versorgungssysteme aus erster Hand – sowohl aus der strategischen als auch aus der praktischen Perspektive.

Ausgebildet in personenzentrierter Gesprächsführung nach C. R. Rogers und erfahren in der Krisenintervention verbindet er juristische, wirtschaftliche und psychologische Perspektiven zu tragfähigen Lösungen im Betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM).

Mit interdisziplinärer Qualifikation in Betriebswirtschaft, Sozialwesen und Personaldiagnostik begleitet er Unternehmen jeder Branche beim Aufbau rechtskonformer und zugleich praxisnaher BEM-Prozesse – passgenau auf betriebliche Strukturen zugeschnitten.

Sein Schwerpunkt liegt auf nachhaltiger Wiedereingliederung statt formaler Pflichtprogramme: lösungsorientiert, wirtschaftlich wirksam und mit klarer Wirkung gegen den Fachkräftemangel.

FAQ: Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) in Pflegeeinrichtungen – Ihre wichtigsten Fragen beantwortet

Ja – gerade unter hohem wirtschaftlichem Druck ist ein professionelles Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) nicht nur umsetzbar, sondern betriebswirtschaftlich notwendig. Denn jeder nicht begleitete Rückfall verursacht höhere Ausfallkosten, zusätzlichen Rekrutierungsaufwand und sinkende Versorgungsqualität. Mit externer BEM-Beratung oder Inhouse-BEM-Schulungen lassen sich passgenaue Prozesse aufbauen – ohne zusätzlichen Verwaltungsballast.

Auch bei geringer Fallzahl rechnet sich ein gut strukturiertes BEM. Bereits ein einziger vermiedener Burnout-Fall kann je nach Branche bis zu 30.000 € an direkten und indirekten Kosten einsparen. Zudem stärkt ein rechtskonformer BEM-Prozess die Mitarbeiterbindung – ein wichtiger Faktor angesichts des zunehmenden Fachkräftemangels im Gesundheitswesen.

Genau hier setzt eine BEM Schulung für Pflegeeinrichtungen an: Sie vermittelt praxisnahe Gesprächsführung, klare rechtliche Grundlagen und gibt Sicherheit im Umgang mit psychischen Erkrankungen. Die Schulungen können online oder als Inhouse-Seminar stattfinden – auch für kleine Teams.

Externe BEM-Berater:innen bringen juristische, psychologische und organisatorische Expertise ein – ohne Betriebsblindheit. Sie moderieren sensible Gespräche neutral, koordinieren komplexe Fälle (z. B. bei Depression oder PTBS) und sorgen für eine datenschutzkonforme Umsetzung. Das schafft Vertrauen und reduziert Belastungen für interne Führungskräfte.

Ein wirksames BEM zielt nicht auf Formalien, sondern auf tragfähige, realistische Maßnahmen zur nachhaltigen Wiedereingliederung. Dafür braucht es individualisierte Schritte, eine professionelle Gesprächsführung und die Bereitschaft, psychische Belastungen ernst zu nehmen. Genau darauf fokussiert sich eine fundierte BEM Ausbildung mit Schwerpunkt psychische Erkrankungen.

Im Vergleich zu den durchschnittlich 128 € Kosten pro Krankheitstag (BAuA, siehe Blog-Beitrag) ist ein strukturiertes BEM deutlich günstiger. Laut Hochschule Aalen liegt der ROI bei 1:4,8 – jede investierte Maßnahme spart also langfristig bares Geld. Die Kosten für eine externe BEM Beratung oder BEM Prozessbegleitung variieren je nach Einrichtung und Umfang – sind aber meist niedriger als vermutet.

Ja – insbesondere bei erstmaliger Implementierung eines systematischen BEM-Prozesses können je nach Bundesland oder Trägerstruktur Fördermittel oder Beratungszuschüsse in Anspruch genommen werden. Auch in Kassel, Fulda, Hannover, Dortmund oder Würzburg beraten wir hierzu gern im Rahmen unserer BEM-Beratung. Auch bundesweit sind wir im betrieblcihen Eingliederungsmanagement tätig.

Transparenz, freiwillige Teilnahme und professionelle Kommunikation sind essenziell. Ein externer BEM-Berater kann Ängste abbauen, datenschutzrechtliche Sicherheit schaffen und dafür sorgen, dass das Verfahren nicht als Kontrollinstrument wahrgenommen wird – sondern als konkrete Unterstützung für die Rückkehr in den Beruf.

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Manfred Baumert
Personaldiagnostik
Trainer & Recruiter

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Manfred Baumert
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Trainer, Recruiter, BEM-Berater & Case Manager

Die Köpfe entscheiden den Wettbewerb!

In Zeiten steigender Belastungen am Arbeitsplatz ist ein effektives Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) entscheidend. Seine langjährigen Erfahrungen in der eignungsdiagnostischen Personalauswahl, als Trainer und Berater für Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) unterstützt Unternehmen dabei, Mitarbeitende nach Erkrankungen erfolgreich zu reintegrieren und somit wertvolle Kompetenzen im Unternehmen zu halten.

Sein Ansatz orientiert sich an wissenschaftlich fundierten Methoden mit praxisorientierten Lösungen, auch mit dem Fokus auf den Nutzen für die Unternehmen. Eine Expertise, die nicht nur die Gesundheit Ihrer Mitarbeitenden fördert, sondern gleichzeitig die Effizienz Ihres Unternehmens als berechtigtes Anliegen berücksichtigt.

Gesunde Mitarbeitende, starkes Unternehmen!

BEM & BGM für nachhaltige Fachkräftesicherung nutzen.