Was passiert, wenn Informationsgespräch und Erstgespräch im BEM vermischt werden?
Werden im Informationsgespräch bereits Gesundheitsdaten angesprochen, bevor eine wirksame Einwilligung vorliegt, fehlt jede datenschutzrechtliche Grundlage. Diese unzulässige Verarbeitung macht das gesamte BEM strukturell angreifbar, führt zu Beweisnachteilen im Kündigungsschutzverfahren und kann datenschutzrechtliche Konsequenzen auslösen. Die Vermischung beider Gesprächsformen ist deshalb einer der folgenreichsten Fehler im BEM-Einstieg.
Das erste Gespräch im BEM entscheidet über die gesamte rechtliche Tragfähigkeit des nachfolgenden Verfahrens. Dennoch zeigt die Praxis: Viele Unternehmen vermischen Informationsgespräch und Erstgespräch, oft unbewusst, häufig gut gemeint, aber rechtlich fatal.
Die neuere Rechtsprechung des LAG Baden-Württemberg (14.01.2025 – Az. 15 Sa 22/24) bestätigt, wie entscheidend die saubere Trennung beider Formate ist: Wer im Informationsgespräch Gesundheitsdaten erhebt, handelt rechtswidrig. Damit ist klar: Ein unsauberer Einstieg kann ein ansonsten tadelloses BEM vollständig entwerten.
Warum müssen Informationsgespräch und Erstgespräch strikt getrennt werden?
Das Informationsgespräch dient ausschließlich der Aufklärung über Zweck, Ablauf, Datenverarbeitung und Freiwilligkeit des BEM. Erst das Erstgespräch erfasst gesundheitliche Belastungen und mögliche Maßnahmen. Ohne klare Trennung fehlt Transparenz und die erforderliche Einwilligung für Gesundheitsdaten nach Art. 9 DSGVO. Werden beide Gesprächsarten vermischt, ist die Datenverarbeitung rechtswidrig und das Verfahren unwirksam.
Viele Verantwortliche empfinden diese Trennung als Detailsache. Tatsächlich handelt es sich um ein zwingend vorgeschriebenes Verfahrenselement, das das gesamte BEM schützt.
Im Informationsgespräch dürfen weder angesprochen noch dokumentiert werden:
– Diagnosen
– Beschwerden
– Arbeitsfähigkeitsprobleme
– Einschränkungen
– Belastungssituationen
– persönliche Hintergründe
– medizinische Einschätzungen
Schon ein Satz wie „Ich habe starke Rückenschmerzen“ löst nach DSGVO Art. 9 eine Verarbeitung aus und wäre ohne Einwilligung unzulässig.

Welche datenschutzrechtlichen Grundlagen gelten für Gesundheitsdaten im BEM?
Gesundheitsdaten gehören zu den besonders geschützten Datenkategorien nach Art. 9 DSGVO. Ihre Verarbeitung erfordert eine ausdrückliche, informierte und dokumentierte Einwilligung. Ohne diese Einwilligung sind jegliche Erhebung und Speicherung unzulässig. Unternehmen müssen deshalb strikt sicherstellen, dass keine gesundheitsbezogenen Inhalte vor der Einwilligung angesprochen werden.
Die Einwilligung muss zudem:
– zweckgebunden,
– verständlich formuliert,
– freiwillig,
– widerrufbar,
– dokumentiert und nachweisbar sein.
Fehlt ein Element, fehlt die Legitimation.
Welche typischen Fehler geschehen im BEM-Einstieg?
Häufige Fehler sind: vorzeitige Datenerhebung, unklare Einladungen, fehlende Datenschutzhinweise, unpräzise Einwilligungstexte, unsichere Gesprächsführung und fehlende Trennung der Rollen. Diese Fehler gefährden nicht nur die DSGVO-Konformität, sondern machen das BEM im Streitfall angreifbar.
Typische Praxisfehler:
- Gesundheitsgespräch im Informationsgespräch
- Einwilligung wird erst nach Beginn des Erstgesprächs unterzeichnet
- Einwilligung ist zu allgemein oder veraltet
- Nicht alle Art.-13-Informationen werden vorgelegt
- BEM-Beauftragte trennen Gesprächsphasen nicht sicher
- Terminbetreff ist missverständlich („Einladung zum BEM“)
- Gesprächsnotizen entstehen schon im Informationsgespräch

Wie bewertet das LAG Baden-Württemberg diese Vermischung?
Das LAG Baden-Württemberg stellte klar: Sobald im Informationsgespräch Gesundheitsdaten erfasst oder diskutiert werden, liegt ein Datenschutzverstoß vor. Die Datenverarbeitung ist unwirksam, das BEM fehlerhaft eingeleitet und arbeitsrechtlich angreifbar. Das Urteil unterstreicht, dass bereits kleine Unsauberkeiten die gesamte Struktur des BEM unterminieren.
Diese Entscheidung folgt der bekannten Linie des BAG, wonach nur ein formal korrekt eingeleitetes BEM im Kündigungsschutzverfahren als entlastend anerkannt wird.
Welche Folgen hat die Vermischung für das gesamte BEM?
Die Vermischung führt zur Unwirksamkeit des BEM. Arbeitgeber verlieren Beweisvorteile im Kündigungsschutzverfahren, riskieren datenschutzrechtliche Sanktionen und können Schadensersatzforderungen ausgesetzt sein. Selbst ein später formal korrektes Vorgehen heilt den Fehler nicht mehr.
Konsequenzen:
– Verlust der „Letzten-Chance“-Beweislastfunktion
– Datenschutzverstoß nach Art. 9 i. V. m. Art. 83 DSGVO
– Bußgelder
– Arbeitgeber bleibt voll verantwortlich, auch bei externen Dienstleistern
– Mitarbeiter verlieren Vertrauen
– Wiedereingliederung verzögert sich
– Verfahren ist strukturell angreifbar

Wie sieht ein rechtssicheres Informationsgespräch aus?
Ein rechtssicheres Informationsgespräch informiert ausschließlich, erhebt aber keine Gesundheitsdaten. Es umfasst Zweck, Ablauf, Beteiligte, Datenverarbeitung und Freiwilligkeit. Erst nach der Einwilligung beginnt das eigentliche Erstgespräch. Unternehmen benötigen hierfür klare Leitfäden, getrennte Einladungen und eine strukturierte Gesprächsarchitektur.
Best-Practice-Struktur:
- Begrüßung
- Erläuterung Zweck BEM
- Darstellung Beteiligte
- Information über Datenverarbeitung
- Hinweis auf Freiwilligkeit
- Möglichkeit zu allgemeinen Fragen
- Übergabe der Einwilligung
- Abschluss – ohne inhaltlichen Einstieg
Welche Risiken entstehen durch externe BEM-Dienstleister?
Unternehmen haften vollständig für Datenschutzfehler externer Dienstleister. Kommt es zur Vermischung von Informations- und Erstgespräch, wird der Fehler dem Arbeitgeber zugerechnet. Unternehmen sollten daher strikt prüfen, ob externe BEM-Beauftragte datenschutzkonform und verfahrenssicher arbeiten.
Externe Anbieter sollten deshalb über ausreichende datenschutzrechtliche Kenntnisse verfügen.
Wie können Unternehmen interne BEM-Verantwortliche stärken?
Unternehmen sollten Schulungen, Leitfäden, Supervision und regelmäßige Fortbildungen nutzen, um BEM-Beauftragte auf datenschutzkritische Situationen vorzubereiten. Besonders wichtig ist der sichere Umgang mit spontanen Gesundheitsangaben im Informationsgespräch.
Umsetzungsschwerpunkte:
– Unterbrechen ohne Demütigung
– Gesprächsführungstechniken
– rechtssichere Dokumentation
– Prozessklarheit
– Verständnis für Art. 9-Daten
Wie unterstützen digitale BEM-Fortbildungen diesen sensiblen Prozessschritt?
Digitale Formate wie BEM Online-Tagesseminare werden von vielen Unternehmen genutzt, um die sensiblen Einstiegsphasen des BEM zu professionalisieren. Sie ermöglichen eine strukturierte Vertiefung von Gesprächstrennung, Datenschutz, Dokumentation und rechtlicher Einordnung – unabhängig von Ort und Ressourcensituation.
Der Vorteil: Interne Verantwortliche gewinnen Sicherheit, die unmittelbar auf reale Gespräche übertragbar ist.
Wie lässt sich die Gesprächstrennung nachhaltig absichern?
Durch standardisierte Einladungen, klare Gesprächsleitfäden, getrennte Termine, dokumentierte Einwilligungen und regelmäßige Schulung der Verantwortlichen. Die saubere Gesprächsarchitektur verhindert typische Fehler und stärkt die Rechtssicherheit des gesamten BEM.
Welche Konsequenzen drohen bei fehlerhaftem Einstieg in das BEM?
Ein fehlerhafter Einstieg führt zur Angreifbarkeit des BEM, Verlust prozessualer Vorteile, potenziellen DSGVO-Bußgeldern und Schadensersatzrisiken. Unternehmen verlieren damit ihre Absicherung im Kündigungsschutzprozess und riskieren Vertrauensverlust bei Mitarbeitenden.
Welche Vorteile haben Unternehmen, wenn sie die Gesprächstrennung professionell
Eine klare Trennung sorgt für Rechtssicherheit, höhere Akzeptanz, bessere Wiedereingliederungsergebnisse und schützt Unternehmen im Kündigungsschutz. Für HR-Manager, Personalleitung und Geschäftsführung entsteht ein deutlicher Mehrwert durch stabile Prozesse und geringere Haftungsrisiken.
Über den Autor
Manfred Baumert, MBA, ist Geschäftsführer der 2benefit GmbH und seit vielen Jahren auf die professionelle Gestaltung, Analyse und Weiterentwicklung von BEM-Prozessen spezialisiert. Seine Expertise verbindet arbeitsrechtliches Wissen, tiefgehende Kenntnisse des Gesundheits- und Sozialwesens sowie langjährige praktische Erfahrung im Umgang mit komplexen Fehlzeitenverläufen.
Als ehemaliger ehrenamtlicher Richter am Arbeitsgericht kennt er die juristischen Anforderungen an Zugangsnachweise, Dokumentation und Verfahrenssicherheit aus der gerichtlichen Perspektive. Diese Doppelkompetenz, arbeitsrechtliche Beweislastlogik auf der einen und psychosoziale Verfahrensgestaltung auf der anderen Seite, prägt seine Arbeit ebenso wie sein systemischer Blick auf Organisationen.
Ein Schwerpunkt seiner Tätigkeit liegt darin, Unternehmen dabei zu unterstützen, BEM so aufzubauen, dass es sowohl fachlich belastbar als auch rechtlich reproduzierbar ist. Gerade bei Themen wie Zustellwegen, Einladungsstruktur, Dokumentationspflichten und Prozessqualität kommt es auf präzises Vorgehen an. In den BEM-Online-Tagesseminaren der 2benefit GmbH werden gemeinsam mit HR-Verantwortlichen und Führungskräften verlässliche Standards, die den rechtlichen Anforderungen entsprechen und zugleich praxistauglich sind, entwickelt.
Seine regionale Verankerung im nordhessischen Sozial- und Gesundheitswesen ermöglicht es zudem, Maßnahmen im BEM zielgerichtet zu vernetzen und wirksam umzusetzen. Er steht für eine BEM-Praxis, die rechtlich fundiert, menschlich respektvoll und organisatorisch tragfähig ist.
FAQ: Verfahrenssicherheit bei Informations- und BEM-Erstgespräch
Nein. Schon das Erfassen freiwilliger Angaben ist ohne Einwilligung rechtswidrig. Gesundheitsdaten dürfen erst ab Beginn des Erstgesprächs verarbeitet werden. Viele glauben, sie dürften „erst später notieren“. Doch die Verarbeitung beginnt schon beim Erfassen, nicht beim Schreiben.
Nein. Für Gesundheitsdaten ist eine dokumentierte Einwilligung erforderlich. „Wir haben darüber gesprochen“ genügt in keinem gerichtlichen Verfahren.
Ja, wenn sie klar getrennt sind und die Einwilligung zwischen Informations- und Erstgespräch vorliegt. Ein gemeinsamer Terminblock ist zulässig, ein gemeinsames Gespräch nicht.
Eine unklare Einwilligung kann unwirksam sein und macht die Datenverarbeitung angreifbar. Standardvorlagen sind oft zu allgemein, sie schützen nicht vor Angriffen im Prozess.
Mehr Informationen erhalten Personaler in unseren BEM Online-Tagesseminaren.
Nein. Fehler externer Anbieter werden dem Arbeitgeber zugerechnet. Er bleibt verantwortliche Stelle nach DSGVO. „Das hat der Dienstleister falsch gemacht“ schützt in keinem Prozess. Für die beauftragenden Unternehmen bedeutet dies auch: sie sollten nicht auf Dienstleister setzen, die mit vermeintlich „günstigen“ Honorarsätzen und wenigen Stunden je BEM-Fall werben.

